Somaliland hat die internationale Anerkennung verdient
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Somaliland, die abtrünnige Republik von Somalia am Horn von Afrika, führt am 13. November 2024 das vierte Mal Wahlen durch. Sie gilt als eine ‘Oase’ in einer von Gewalt und Unterdrückung geprägten Region. Ihr Geheimnis ist eine funktionierende, stabile Demokratie mit gleichem Leistungsindikator wie derjenige der Ukraine. Nur Taiwan hat Somaliland bis heute als eigenständiges Land anerkannt.

Somaliland, am politisch unruhigen Horn von Afrika gelegen, rüstet sich für die Präsidentschaftswahl am 13. November 2024. Sich gegenüber stehen die zurzeit herrschende Partei ‘Kulmiye’ mit dem bisherigen Präsidenten Muse Bihi Abdi, kurz Bihi genannt, und die oppositionelle Partei ‘Wadani’ mit dem Kandidaten Abdirahman M. Abdullahi. Bihi ist seit 2017 an der Macht, seine Partei Kulmiye schon seit 2010. Im Jahr 2022 wäre seine Wiederwahl fällig geworden, die er aber aus fadenscheinigen Gründen um zwei Jahre verschoben hat. Der diesjährige Urnengang ist schon die vierte demokratische Wahl, seit sich Somaliland im Jahr 1991 von Somalia loslöste und einen eigenen Staat ausgerufen hat. Allerdings wurde Somaliland bis heute nur von Taiwan offiziell anerkannt. Viele Länder befürchten, dass die Anerkennung zu weiteren Sezessionsbewegungen in Afrika führen würde. Als nicht anerkanntes Land kann es nicht Mitglied der UNO werden, und als direkte Folge, erhält es bedeutend weniger multilaterale Entwicklungshilfe als die benachbarten Staaten.
Streben nach internationaler Anerkennung
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Das Streben von Somaliland nach internationaler Anerkennung hat im Januar 2024 zu einer Absichtserklärung mit Äthiopien geführt, in der festgehalten wird, dass das Binnenland Äthiopien den Hafen von Berbera am Golf von Aden, mit direktem Zugang über einen Strassenkorridor, pachten kann. Zudem soll das Recht erteilt werden, eine Marinebasis zu betreiben, um die
Schiffstransporte zu schützen. Die Absichtserklärung löste einen gewaltigen Protest in den Nachbarländern Djibouti und Somalia aus. Djibouti befürchtet, ihr Hafenmonopol zu verlieren, und Somalia reklamiert nach wie vor die Souveränität über Somaliland, vor allem bezüglich des Abschlusses von internationalen Verträgen.
Auch Ägypten hat sich eingemischt, da es mit Äthiopien seit mehreren Jahren im Clinch steht wegen dem Bau des riesigen Renaissance Staudamms am Blauen Nil im Hochland von Zentraläthiopien. Ägypten befürchtet, dass in Zukunft zu wenig oder verspätet Wasser und kein Schlamm als Dünger für die Landwirtschaft im Unterlauf des Nils in Ägypten zur Verfügung stehen wird. Deshalb unterstützt Ägypten den Protest und baut eine Drohkulisse auf mit Waffenlieferungen und der Verschiebung eigener Truppen nach Somalia. Allgemein wird aber kaum erwartet, dass es zu einem offenen, militärischen Konflikt kommen wird, da Somalia ressourcenarm, die Armee schlecht ausgerüstet und das Land nach wie vor stark mit ihren Clanzwisten und der Bekämpfung der Al-Shabab beschäftigt ist.
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Demokratisches Somaliland
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Die bevorstehenden Wahlen sind von grosser Bedeutung für die Zukunft von Somaliland im Streben nach internationaler Anerkennung. Das Land weist heute gut verankerte demokratische Strukturen auf, die zum Teil auf die Stammestradition zurückzuführen sind. Zum grossen Vorteil gereicht, dass 80% der Somaliländer zum Grossclan der Isaaq gehören und diese Situation weniger zu Streitereien um die Macht führt, wie bei den (zu)vielen mächtigen Clans in Somalia.
Historisch war Somaliland ein britisches Protektorat (Britisch-Somaliland) und Somalia eine italienische Kolonie. Somaliland wurde 1960 in die Unabhängigkeit entlassen, hat sich aber im gleichen Jahr mit dem ehemaligen Italienisch-Somalia zur Republik Somalia vereinigt. Die nationale Integration gestaltete sich schwierig und Somaliland fühlte sich von der Zentralregierung in Mogadischu benachteiligt und stellte sich gegen die Militärjunta des Diktators General Mohamed Siyad Barre. Der blutige Bürgerkrieg endete 1991 mit dem Sturz der Regierung in Mogadischu und der Sezession von Somaliland.
Nach der de facto Unabhängigkeit von Somaliland wurde in einem langen Selbstfindungsprozess der Clans ein Zweikammersystem definiert: ein Unterhaus aus gewählten Parlamentariern und ein Oberhaus, Guurti genannt, mit Einsitz der Clanführer. Die Besetzung des Oberhauses bedarf heute allerdings der Reform, da auf Clanebene seit 1991 keine Wahlen mehr stattgefunden haben. Das Wegsterben von älteren Clanvertretern oder die Delegation der Funktionen von Clanführern an ungeeignete, von Clanmitgliedern nicht unterstützten Personen, kompromittiert die Funktionen des Guurti. Führende Leute der Wirtschaft, der Zivilgesellschaft und der Clans befürworten klar eine Änderung im System der Bestellung des Oberhauses. Die Vorstellungen gehen dahin, dass innerhalb der Clans ebenfalls Wahlen stattfinden, die Amtsdauer beschränkt ist und eine Funktion nicht delegiert werden kann.
Interessant ist auch die Feststellung von Vertretern lokaler Denkfabriken, der Zivilgesellschaft und von Wissenschaftern, dass die eigenständige Entwicklung des Regierungssystems ohne Fremdbeeinflussung durch die internationale Gemeinschaft erfolgt sei. Der breit angelegte, claninterne Prozess erlaubte, das System als Eigenleistung zu verinnerlichen. Zusätzlich wird betont, dass die, im Verhältnis zu den Nachbarländern marginale Entwicklungshilfe, nicht nur negative Auswirkungen bewirkt. So ist sich die Regierung und die Bevölkerung bewusst, dass mit den vorhandenen Mitteln viel sorgfältiger umgegangen werden muss. Eine bedeutende Finanzressource sind die hohen Geldüberweisungen der Diaspora. Diese haben mitgeholfen, die Wirtschaft mit kleineren und grösseren KMUs erfolgreich aufzubauen.
Somaliland im konfliktreichen Horn von Afrika
In den vergangenen drei Jahrzehnten war Somaliland erstaunlich friedlich, im Gegensatz zu Somalia, mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen innerhalb der Clans und der Terrororganisation Al-Shabaab. In einem Grossteil Äthiopiens herrschen während nun schon sechs Jahren ethnisch bedingte, blutige Kämpfe um Grenzkorrekturen und mehr politische Eigenständigkeit der einzelnen Bevölkerungsgruppen. Auch in Kenia mehren sich gewalttätige Auseinandersetzungen; die besser ausgebildete Jugend will nicht mehr die verheerende Korruption der politischen Elite akzeptieren und protestiert lautstark auf der Strasse. Die Polizei versucht mit brutaler Gewalt, die Demonstrationen zu unterdrücken.
Doch ist es auch in Somaliland in den vergangenen Jahren immer wieder zu Unruhen und Gewalttätigkeiten gekommen. Wenn auch Al-Shabaab kaum Fuss fassen konnte, ist es im Jahr 2023 zu heftigen und blutigen Auseinandersetzung zwischen der Regierung und den Minoritätenclans im Osten von Somaliland gekommen, mit hunderten von Toten und mehr als hunderttausend Vertriebenen. Schlussendlich konnten die aufständischen Clans die Armee von Somaliland besiegen und aus dem Osten des Landes vertreiben. In der Zwischenzeit wurde eine eigene Verwaltung aufgebaut, so dass das Land heute faktisch zweigeteilt ist.
Wahlen am 13. November 2024
Das unverhältnismässige, massive, militärische Eingreifen der Armee von Somaliland wird dem heutigen Präsidenten und früheren General Bihi angelastet. Eine breite Bevölkerung quer durch alle sozialen Schichten der Gesellschaft kritisiert, dass er das Gespräch ungenügend gesucht habe, um den Konflikt friedlich zu lösen. Auch wird ihm vorgeworfen, dass er zusehend autoritär regiere, Vetternwirtschaft betreibe, die Korruption zu wenig bekämpfe, die Wirtschaft sich ungenügend entwickle und die Inflation unkontrolliert ansteige. Diese begründete Kritik könnte Bihi die Wiederwahl am 13. November 2024 kosten. Der Vorteil der Opposition ist, dass sie bis anhin keinen Beweis einer guten Regierungsführung erbringen musste. Durch das konziliantere Auftreten wird ihr zugetraut, dass sie fähig ist, den Konflikt mit dem Osten des Landes lösen und die abtrünnigen Clans wieder in den Staatsverband von Somaliland eingliedern zu können. Beide Parteien möchten die Vertragsverhandlungen mit Äthiopien über den Hafen und eine Marinebasis weiterführen, und damit auch die Anerkennung Somalilands durch Äthiopien vorantreiben.
Internationale Anerkennung von Somaliland
Somaliland betont, dass es die meisten Anforderungen an einen Staat erfülle. Diese umfassen freie und faire Wahlen, eine eigene funktionierende Verwaltung, eine eigene Währung und eine eigene Polizei und Armee. Nach ihrer Interpretation erfüllt Somaliland auch die deklarierte Norm der Organisation für Afrikanischen Einheit (OAU), dass koloniale Grenzen nicht geändert werden sollten. da Somaliland früher ein britisches Protektorat gewesen sei. Zudem gehört eine grosse Mehrheit der Bevölkerung dem Isaaq-Clan an und unterscheidet sich diesbezüglich von der Bevölkerung von Somalia.
Somaliland kann als eine ‘Oase’ der Stabilität im turbulenten Horn von Afrika gelten, dies dank seiner demokratischen Regierungsform und der mehr oder weniger homogenen Clanstruktur. Die Demokratie- und Bürgerrechtsbewegung ‘Freedom House’ beurteilt 2023 Somaliland im Freiheitsindex mit 43 von 100 Punkten als teilweise frei, Somalia mit 8 (nicht frei), Äthiopien mit 20 (nicht frei), Djibouti mit 24 (nicht frei) und Kenia mit 52 Punkten (teilweise frei). Im Vergleich erhält die Ukraine ebenfalls 43 Punkte (teilweise frei) wie Somaliland und Ungarn 65 Punkte (ebenfalls teilweise frei). Somalilands Freiheitsindex ist in den vergangenen Jahren gesunken, durch das harte Durchgreifen der Regierung gegen die Clanopposition im Osten des Landes und durch die Verschiebung der Präsidentschaftswahlen vom Jahr 2022 nach 2024.
Die internationale Gemeinschaft, vor allem die Organisation für Afrikanische Einheit, sollte sich die Anerkennung von Somaliland als unabhängiger Staat neu annehmen. Dies würde nicht nur die bisherigen Anstrengungen des Landes honorieren, sondern es auch beflügeln, die demokratischen und freiheitlichen Strukturen weiter auszubauen. Zudem würde Somaliland Zugang zu Darlehen der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds erhalten, was einen rascheren wirtschaftlichen Aufschwung fördern würde. Dies wiederum hätte auch positive Auswirkungen auf den heute grossen ‘Brain Drain’, die Beschäftigung im Land und die hohe Jugendarbeitslosigkeit.
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Rudolf Schoch ist promovierter Geograf und arbeitete in der wissenschaftlichen Forschung für Entwicklungsländer an der Universität Zürich, lebte als Delegierter des HEKS in Indien, reiste weltweit als Berater für Hilfsprojekte und Unternehmensentwicklung und arbeitete für die DEZA als Koordinator im Balkan, in Zentralasien und im Südkaukasus. Im August 2024 hat er sich in Somaliland aufgehalten.

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